Leseprobe "Ungeahnte Nähe - Dan und Luca"
Kapitel 1
Dan
Langsam fuhr ich mit der Hand über meinen Bart und prüfte, ob ich nicht doch ein Haar übersehen hatte. Zufrieden packte ich den Bartschneider weg und betrachtete mich im Spiegel. Ich zog mein Shirt über und zupfte meine dunkelblonden Haare mit Haarwachs noch ein wenig in Form. Im Schlafzimmer zog ich meine Jeans über und warf die Tagesdecke nachlässig über mein Bett. Denn im Grunde war es egal, wie es aussah. Frauengeschichten gehörten schon lange der Vergangenheit an.
Ich lief die Treppe hinunter und verschwand durch den Flur in meiner kleinen Küche, um mir noch einen Kaffee zum Mitnehmen zu machen.
Meine umgebaute Scheune, die sich mit auf dem alten Hofgelände meiner Eltern befand, wurde von einem großen Raum, dem Wohnzimmer dominiert. Abgehend davon gab es unten einen kleinen Flur mit dem Zugang zur Küche, zum unteren Bad und zu einem Abstellraum. Und aus dem Wohnzimmer führte eine Treppe zur Galerie, auf der sich mein Schlafzimmer befand. Von dort ging eine Tür in das Hauptbadezimmer. Das ehemalige Scheunentor hatte ich mit großen Fenstern ersetzt, so konnte ich sogar aus meinem Bett heraus der Sonne beim Aufgehen zusehen. Von dem alten Hof war sonst nur noch das Haupthaus weiter hinten auf dem Gelände übrig, die Stallungen waren bei einem Brand vor zehn Jahren zerstört worden. Zum Glück hatte mein Vater da längst umgeschult und kein Vieh mehr gehalten, sodass es sich lediglich um einen Sachschaden gehandelt hatte. Die Reste der Gebäude hatten wir dann komplett abgetragen und so bekam ich eine Aussicht, die mir je nach Wetterlage, einen weiten Blick bis zum Siebengebirge ermöglichte.
Ich drehte den Deckel meines Kaffeebechers zu, nahm meine Waffe aus dem kleinen, in der Wand eingebauten, Safe und verließ meine Scheune. In der Ferne hörte ich einen Rasenmäher und musste schmunzeln, als ich einen Blick auf die Uhr warf. Kurz nach sieben und unser einziger direkter Nachbar hatte nichts Besseres zu tun, als schon mal die Wiese auf seinem Baumstück zu mähen. Es kam dabei auch nicht selten vor, dass er neugierig, wie er war, aus Versehen bei uns noch mit mähte. Als ich das mal meinem Vater berichtete, sagte er nur lachend: „Lass dem alten Mann doch seine Freude.“
Kurz blieb ich stehen und atmete die frische Morgenluft ein. Ich liebte meine Heimat im Nirgendwo, inmitten lauter kleiner Ortschaften an der Grenze zu Rheinland-Pfalz. Einen Katzensprung von der Ahr und ihren Weinbergen entfernt.
In Gedanken bei dem, was der heutige Tag wohl so bringen würde, entriegelte ich meinen Wagen und stieg in den dunkelblauen BMW Touring.
Luca
Francesca zog mich an der Hand wieder ins Bett. „Ich muss los, sonst komme ich zu spät.“
„Ach komm schon, von hier aus ist es doch ein Katzensprung zur Dienststelle und ich verspreche, ich mache dir auch einen Kaffee.“ Ihr Mund wanderte küssend über meinen Rücken. Sie hatte ihre Arme um mich gelegt und ihre Hände strichen über meine Brust. Manchmal fragte ich mich, wer hier der Verführer war, ich oder eher sie. Nach einem erneuten schnellen Blick auf die Uhr ließ ich sie gewähren. Ihre Hand hatte inzwischen meinen Bauch passiert, schob sich von oben in meine Trunks[1] und umfing mich. Ich schloss die Augen, als sie sanft anfing, mich zu massieren. Langsam spürte ich, wie meine Hose eng wurde. Mit einer sanften Bewegung schob ich ihre Hand weg und entledigte mich meiner Unterwäsche. Dann wandte ich mich zu ihr um, schob den dünnen Stoff ihres Negligés nach oben und mein Mund wanderte küssend über ihre Scham. Sie erbebte sanft, als meine Zunge ihre intime Stelle berührte, ich sie neckte, nur um dann weiter über ihren Bauch nach oben zu wandern. Ihre Hände kratzen über meinen Rücken, zogen mich enger an sie heran. Willig bäumte sie sich mir bereits entgegen, während ich meinen Weg fand.
Unter der Dusche hallten die Gefühle des eben erlebten Höhepunktes noch in mir nach, dennoch war da eine Leere, die sich einfach nicht füllen ließ.
Mit einem Kaffee versorgt stieg ich in meinen Wagen und machte mich auf den Weg zur Dienstelle. Dan wartete mit Sicherheit schon auf mich, denn natürlich war ich jetzt zu spät.
Ich schob unsere Bürotür im Kommissariat auf und blickte direkt in Dans blaue Augen, die mich wissend betrachteten. „Na, kamst du wieder einmal nicht los?“
„Sie kann sehr überzeugend sein.“
„Das ist sie in letzter Zeit aber sehr oft. Sei froh, dass Thies noch nicht da ist und die Besprechung verschoben hat. Du weißt, er hasst es, wenn wir nicht pünktlich zu den Meetings kommen.“
Ich nickte und ließ mich auf meinen Bürostuhl plumpsen. Dan hatte sich wieder seinem Rechner zugewandt und las dort konzentriert etwas. Ich betrachtete meinen Kollegen und besten Freund, der heute wieder wie aus dem Ei gepellt aussah. Der Fünf-Tage-Bart war frisch gestutzt und seine Haare in Form gebracht. Unter seinem enganliegenden Langarmshirt konnte man die Bewegung seiner Muskeln ausmachen und schnell wandte ich meinen Blick ab auf meinen Rechner, der gerade fertig hochgefahren war.
Es klopfte an der Tür und Thies Hinrichs streckte den Kopf hindurch. „Ich bin dann jetzt da. Besprechung in fünf Minuten bei mir.“
„Jawoll Chef“, meldeten Dan und ich fast gleichzeitig.
Die Tür schloss sich wieder und ich sah Dan an. „Noch einen Kaffee, Kumpel?“
„Was für eine Frage.“ Er sperrte den Bildschirm und gemeinsam verließen wir das Büro und zogen uns in der Kaffee Küche, jeder einen Milchkaffee. Dann stiefelten wir hinüber zu Thies.
„Ah, da seid ihr ja. Entschuldigt, dass ich heute nicht pünktlich war, aber mein Auto meinte auf halber Strecke liegenbleiben zu müssen. Was haben wir?“
„Aktuell ist es recht ruhig“, begann Dan, wurde aber von seinem Handyklingeln unterbrochen. Er hob eine Hand. „Das ist Ricky. Vielleicht hat er etwas Neues für uns.“
Schon nahm Dan das Gespräch entgegen.
[1] enganliegende Boxershorts
Leseprobe "Ungeahnte Nähe - Toby und Basti"
Kapitel 1
Sonntag, 31. März
Toby
Mit der mitgebrachten Blumenkelle schob ich die Erde etwas auseinander, um Platz für den Wurzelballen des Lavendels zu schaffen.
Bibi hatte Lavendel und seinen Duft geliebt. Es ging so weit, dass sie sogar Handcreme mit Lavendelduft besessen hatte. Vorsichtig drückte ich die Erde um die Pflanze fest und begutachtete mein Werk. In der Gärtnerei hatte ich den frühblühenden Lavendel in unterschiedlichen Farben erstanden und ihn in diagonalen Reihen eingepflanzt. Dazwischen legte ich die bemalten Steine der Kinder. Jedes Jahr kamen welche dazu, dieses Jahr das erste Mal auch von den Zwillingen.
Ich richtete mich auf und sah mich auf dem Friedhof um. Nicht weit entfernt konnte ich die blonden Schöpfe der vier Mädchen ausmachen, die jetzt mit meiner Schwiegermutter langsam zurückkamen. Sie hatten den Bollerwagen mit zwei Gießkannen Wasser bestückt, die so voll waren, dass es bei jeder Bewegung überschwappte.
Leni, eine der Zwillinge, kam nun zu mir gerannt und hielt mir einen Stein in Herzform hin. „Mami.“ Ich musste schlucken, dann nickte ich. „Der ist sehr schön, Maus, dann such dem Stein mal einen guten Platz.“
Die Zweijährige nickte ernst und begutachtete konzentriert das Grab ihrer Mutter. Schließlich beugte sie sich vor und legte den Stein mittig auf den liegenden Grabstein. Inzwischen waren auch Elly, Paula und Lara mit ihrer Oma nähergekommen. Alle vier hatten einen Herzstein in der Hand und legten nun ihren Stein zu dem von Leni. Elly, meine Älteste, lehnte sich an mich und drückte mir ebenfalls einen Herzstein in die Hand. Er fühlte sich glatt an und hatte die Wärme der Kinderhand gespeichert. Ich zog Elly kurz an mich und gab der Siebenjährigen einen Kuss auf den Scheitel. Dann beugte ich mich vor und legte mein Herz neben die anderen.
Sechs Herzen, eng verbunden durch die schnörkelige Inschrift unter ihnen. Kurz schloss ich die Augen.
Vor zwei Jahren hatte Bibi uns verlassen. Kurz nach der Geburt der Zwillinge hatte es Komplikationen gegeben und Bibi war nicht mehr aufgewacht. Seither war ich mit den vier Mädchen allein, versuchte Beruf und Familie zu managen und war froh, dass ich Helga, meine Schwiegermutter, und Freunde wie Dan und Luca hatte, die mir tatkräftig unter die Arme griffen. Dennoch war ich in den letzten Jahren oft an meine Grenzen gestoßen und richtig verarbeitet hatte ich den Verlust vermutlich immer noch nicht. Ich spürte, wie sich eine Träne aus meinem Augenwinkel löste und schnell wischte ich sie mir mit dem Jackenärmel weg. Eine kleine Hand schob sich in meine große und als ich hinabsah, hatte sich Paula neben mich gestellt und sah mit ihren blauen Augen zu mir hoch. „Papi, du darfst auch weinen, weil du traurig bist und Mami vermisst.“
Ich ging in die Hocke, um ihr in die Augen zu sehen. „Da hast du recht und es ist gut, dass du mich daran erinnerst.“ Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn und richtete mich wieder auf. Wir verteilten gemeinsam das Wasser über den frisch gepflanzten Lavendel und machten uns danach auf den Heimweg.
Es war Sonntag, der Friedhof war gut frequentiert und so manch mitleidiger Blick blieb an mir und den Kindern hängen. Die Zwillinge liefen Hand in Hand vorneweg, sie kannten es nicht anders, als mit mir und ihren Schwestern allein zu sein. Nicht wie Elly und Paula, die ihre Mutter ebenso vermissten wie ich.
Zu Hause angekommen verkrümelten sich die beiden großen Mädchen in ihr Zimmer. Leni und Lara wirkten müde und so schnappte ich mir die beiden und brachte sie ebenfalls auf ihr Zimmer für einen Mittagsschlaf. Aufgeregt wie sie waren, brauchten sie ewig zum Einschlafen und erst nach zwanzig Minuten konnte ich ihr Zimmer wieder verlassen. Müde ließ ich mich auf die Couch fallen und schloss ebenfalls kurz die Augen.
Ab morgen, ab morgen würde alles etwas entspannter werden. Zumindest hoffte ich das. Ich hatte für die Zwillinge einen Platz in einer Kindertagesstätte gefunden, die eine Ganztagsbetreuung anbot. Das würde meinen Spagat zwischen Arbeit und Familie etwas vereinfachen und ich musste vielleicht nicht mehr ganz so oft auf Helga zurückgreifen, die als Webdesignerin viel im Homeoffice arbeitete und somit recht flexibel war. Ja, sie tat es gern, aber dennoch hatte ich immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich sie schon wieder fragen musste, ob sie auf die Mädchen aufpasste. Ich zuckte zusammen, als sich eine Hand auf meine Schulter legte. „Ich geh dann jetzt, Toby. Ist alles in Ordnung?“
„Ja, ich danke dir.“ Ich drückte ihre Hand.
„Toby?“
„Ja?“
„Du siehst nicht gut aus. Du solltest dir mal wieder etwas Zeit für dich nehmen. Geh mit Dan und Luca ein Bier trinken. Ich sehe gern nach den Mädchen.“
„Danke, Helga, aber du tust sowieso schon so viel für mich und die Mädels.“
Sie drückte meine Schulter. „Ja, und ich tue es gern, das weißt du. Denk einfach mal drüber nach.“
Ich nickte und ihre Hand verschwand. Kurz darauf hörte ich, wie die Haustür leise ins Schloss fiel, als Helga nach Hause ging.
Montag, 01. April
Müde starrte ich am nächsten Morgen in den Spiegel. Meine braunen Augen lagen tief in ihren Höhlen und meine fast schwarzen Haare hatten länger keinen Friseur mehr gesehen und ließen sich auch mit Wachs und Wasser kaum in Form bringen. Mit einem Blick auf die Uhr gab ich den Kampf gegen die widerspenstigen Strähnen auf und weckte als erstes die beiden großen Mädchen für die Schule. Paula war erst vor einigen Tagen sechs geworden, war aber eine ausgezeichnete Schülerin. Überhaupt war ich stolz auf meine Töchter, die beide gern zur Schule gingen. Heute allerdings kamen sie auch nicht so recht aus den Federn, was vermutlich mit dem Todestag ihrer Mutter zusammenhing. Vielleicht musste ich mir zukünftig etwas anderes überlegen, was die Kinder nicht so aus der Bahn warf? Jetzt allerdings hatte ich dafür keine Zeit, denn die Zwillinge mussten auch fertig gemacht werden, und frühstücken wollten wir fünf auch noch, bevor es für uns alle aus dem Haus ging.
Gerade hatte ich die Zwillinge in ihre Stühle gesetzt, da hörte ich Gekreische aus dem Bad und eilte zu den streitenden Mädels. Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt und als ich die Tür zum Bad aufstieß, verstummten Elly und Paula sofort.
„Was ist denn los?“ Auch wenn ich kurz davor stand auszurasten, kämpfte ich darum, dem nicht nachzugeben. Tief atmete ich durch und sah die beiden an. Tränen schimmerten in den Augen von Elly und nur leise kamen ihr die Worte über die Lippen. „Paula sagt, Mama hat sie lieber gehabt als mich.“
Mein Blick wanderte zu Paula, die betreten auf ihre Füße starrte. „Paula?“
Ihr Blick hob sich und auch ihr liefen bereits die Tränen über die Wangen. „Aber doch nur, weil du sagst Papi hat dich lieber.“
Mein Blick wanderte zwischen meinen Töchtern hin und her. „Kommt her. Ich habe euch alle gleich lieb, und Mami ebenso.“
„Sicher?“
„Ganz sicher.“ Ich gab abwechselnd beiden einen Kuss und sah sie fragend an. „Wieder gut?“
Nachdem beide Mädchen genickt hatten, nahm ich sie an der Hand und ging mit ihnen runter zum Frühstücken.
Zwanzig Minuten später saßen wir im Multivan. Als erstes setzte ich Elly und Paula an der Schule ab, anschließend fuhr ich weiter zur Kindertagesstätte. Jasmin, die Erzieherin hatte mehrere Tage Eingewöhnung eingeplant und als ich Lara und Leni nun nacheinander aus dem Wagen hob, war ich nervöser als die Zwillinge. Bei Elly und Paula hatte Bibi das alles geregelt und ich kam mir furchtbar dumm vor, da ich überhaupt nicht wusste, was auf mich zukam. Freundlich begrüßte uns Jasmin an der Tür, zeigte den Mädchen, wo sich ihre Haken befanden, an denen sie ihre Jacke und die Kindergartentasche hängen konnten. Kaum hatten die beiden ihre Hausschuhe an, kamen zwei gleichaltrige Mädchen aus einem der Räume gelaufen, nahmen die Neuankömmlinge an die Hand und verschwanden hinter der bunten Tür. Ich hingegen stand wie bestellt und nicht abgeholt im Flur.
Jasmin trat wieder zu mir. „Gut, das ging besser als erwartet.“ Sie warf einen Blick auf die Armbanduhr. „Ich würde heute einen kurzen Tag vorschlagen. So bis zwölf? Passt Ihnen das?“
Ich nickte immer noch überfordert. Hatte ich gerade Zeit für mich gewonnen? Ganz allein für mich? Langsamen Schrittes verließ ich das Gebäude und stieg in meinen Wagen. Unschlüssig saß ich hinter dem Steuer. Konnte ich wirklich fahren? Was, wenn es doch nicht so leicht für die beiden war und …? Ich schüttelte den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben. Dann würden sie anrufen, so wie sie es bei Elly und Paula auch immer getan hatten.
Ich startete den Motor und fuhr los. Ziellos lenkte ich den Wagen durch Bonn. Ich wusste immer noch nicht so recht, was ich mit der gewonnenen Zeit anfangen sollte. Als ich am „Alten Schweden“ vorbeifuhr, hatte ich plötzlich Lust auf ein paar Zimtschnecken. Ich hatte Glück und fand in einer Seitenstraße einen Parkplatz für den VW-Bus. Langsam schlenderte ich zum Café hinüber und setzte mich an einen der freien Tische.
Die Frühlingssonne schien durch das Fenster herein und wärmte meinen Platz, der Duft nach Zimt und frisch gemahlenem Kaffee waberte durch die Luft. Ich schloss die Augen und versuchte einfach mal an nichts zu denken und den Moment zu genießen.
„Was darf es sein?“ Eine männliche Stimme riss mich aus meinen Gedanken und als ich die Augen wieder öffnete, fiel mein Blick auf den Mann, der vor mir stand. Wirklich viel von ihm sehen konnte ich nicht, dann er stand im Gegenlicht. Einzig seine Haare leuchteten in einem strahlenden Blau, das mich an den Atlantik erinnerte. Kurz aus dem Konzept gebracht stotterte ich: „Ähm, einen Milchkaffee bitte und eine, nein zwei Zimtschnecken bitte.“
„Gern, kommt sofort.“ Er wandte sich ab und verschwand hinter dem Tresen, in dem unterschiedliche Leckereien ausgelegt waren. Unbewusst folgte ihm mein Blick. Er war schlank, nur an den Schultern etwas breiter, wie ein Schwimmer. Ich schätzte ihn auf etwa einen Meter achtzig. Als er sich umwandte, um aus der Theke das Gebäck zu holen, blieb mein Blick an seinem Gesicht hängen. Es war schmal und ein kleiner silberner Ring zierte seine gerade Nase. Sein dunkler Dreitagebart wirkte gepflegt und aus dem Ausschnitt seines weißen Hemdes lugte der kleine Teil eines Tattoos hervor. Fasziniert betrachtete ich ihn genauer und meine Augen blieben an seinen hängen. Sie hatten fast genau die gleiche Farbe, wie seine Haare.
Er bemerkte plötzlich, dass ich ihn beobachtete und sah mich fragend an. Ertappt senkte ich den Blick auf mein iPhone, das ich bereits eine Weile in der Hand hielt, um zu schauen, ob gegebenenfalls jemand versucht hatte, mich zu erreichen. Doch es schien alles in Ordnung zu sein.
„Ihre Bestellung.“ Ein Teller mit zwei duftenden Zimtschnecken schob sich in mein Blickfeld und kurz darauf landete die große Tasse Milchkaffee daneben.
„Danke.“
Doch der Mann war bereits wieder verschwunden. Genüsslich biss ich in das Gebäck. Hm, wirklich gut. Mit der anderen Hand scrollte ich durch das Internet um wenigstens ein bisschen wieder auf dem Laufenden zu sein.
Ich trank den letzten Schluck meines Kaffees und sah mich nach der Bedienung um. Nanu? Wo war er denn hin? Ich stand auf und ging vor zum Tresen. Auch hier konnte ich ihn nirgendwo entdecken. „Hallo? Ich möchte bitte zahlen?“
„Ich komme“, flötete es von weiter hinten und kurz darauf kam eine kurvige Blondine an den Tresen gehetzt. „Entschuldigung Sie, was hatten Sie?“
Etwas enttäuscht, den Kellner nicht noch einmal zu sehen, gab ich ihr die Information und bezahlte den Betrag, den sie mir nannte, inklusive Trinkgeld. Kurz darauf verließ ich das Café und schlenderte zu meinem Wagen zurück. Dort angekommen, warf ich einen Blick auf die Uhr. Noch eine Stunde hatte ich Zeit, bevor ich die Zwillinge wieder einsammeln musste. Zeit, um noch schnell ein paar Einkäufe zu erledigen.
Wenig später schob ich den Einkaufswagen ohne die Kinder durch die Gänge des Ladens, was mir wie Luxus vorkam. Kein Geschrei, kein Gemecker, kein „ich will das haben“ bei der Quengelware an der Kasse.
Nachdem ich meine Töchter aus der Kita abgeholt hatte und mit ihnen zu Hause ankam, kochte ich für die Zwillinge und mich eine Kleinigkeit. Nach dem Essen schnappte ich mir dann den Zwillingsbuggy und das Sandspielzeug und steuerte den Spielplatz bei uns in der Nähe an.
Ich hatte Glück, außer uns dreien war aktuell niemand da, so brauchte ich auch keine Fragen der Mamis aus der Nachbarschaft zu beantworten. Seitdem Bibi nicht mehr da war, hatte ich mich weitestgehend aus dem Kreis der Nachbarschaft zurückgezogen. Ich war die mitleidigen Blicke und dieses künstliche Gehabe so leid. Die Mädels liebten allerdings den Spielplatz und so kam ich nicht umhin, immer mal wieder mit ihnen hierher zu gehen.
Mein Smartphone gab einen Signalton von sich und ich zog es aus der Hosentasche, um zu schauen, wer mir schrieb. Es war Helga, die wissen wollte, wie die Eingewöhnung lief. Ich antwortete ihr mit einigen kurzen Sätzen und steckte das Gerät wieder weg, denn ich beobachtete Leni und Lara mit Argusaugen, als sich die beiden auf die Wippe begaben. Doch meine Sorge war unbegründet. Manchmal hatte ich das Gefühl, die beiden waren viel weiter als andere Kinder in ihrem Alter. Leni winkte mir fröhlich zu und ich bewegte ebenfalls meine Hand. Die blonden Zöpfe leuchteten in der Sonne und wippten im Takt der Bewegung des Spielgerätes auf und nieder.
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